Eröffnung des 13. Demokratie-Tags Rheinland-Pfalz durch den Koordinator Hans Berkessel
Demokratie beginnt mit dir! – das ist der Slogan unseres diesjährigen Demokratie-Tages hier am neuen Ort in der wunderbaren Kultur- und Kongresshalle (kING) am Neuen Markt in Ingelheim. Und dieser Slogan, den wir in der Steuergruppe gefunden haben, ist angesichts der aktuellen Entwicklungen richtig und wichtig. Richtig,weil in einer Situation, in der unsere als so selbstverständlich empfundene Demokratie zunehmend in Frage gestellt wird und innen- und außenpolitisch unter Druck gerät, eine „Zuschauer-Demokratie“ nicht mehr funktionieren kann. Weil jetzt alle gefordert sind, um eine Entwicklung zu verhindern, die unsere Freiheiten, unser vielfältiges Zusammenleben nicht nur theoretisch in Frage stellt, sondern auch bereits in der Praxis, wie die Hassparolen im Internet und die zunehmend offene Gewalt auf unseren Straßen zeigen. Und wichtig ist dieses Motto, weil es deutlich macht, dass es jetzt auf jede Einzelne und jeden Einzelnen und unser gemeinsames Engagement ankommt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei der Eröffnung des Bürgerfestes im Schloss Bellevue am 7. September an das Ende der Weimarer Republik erinnert und zum Engagement gegen „grundlose Wut“ und „Demokratieverachtung“ aufgerufen: [Zitat]
„Ja, es gibt Spannungen in der Gesellschaft, es gibt Konflikte – […]: Wir erlebten Hass, sogar Gewalt auf offener Straße. […] Eine offene Gesellschaft, wie sie die Mehrheit in unserem Land will, leugnet nicht die Schattenseiten und muss die Debatte über diese Schattenseiten auch wollen. […] Aber – und darauf kommt es mir an: sie darf sich nicht einschüchtern lassen! Und deshalb ist es gut, dass Menschen nicht nur gegen etwas auf die Straße gehen; es ist gut, dass sich auch diejenigen, die für Demokratie und für Zusammenhalt stehen, zeigen. […] Bürgersein in der Demokratie ist viel mehr als ein Katalog von Rechten und Ansprüchen. Es bedeutet zuallererst Menschsein. […] Nicht diejenigen müssen sich rechtfertigen, die Mitmenschlichkeit beweisen, sondern die, die sie verweigern![…] Denen, die jetzt wieder lautstark unterwegs sind mit der Parole: „Das System muss weg!“, die erinnere ich an die Folgen, die die Verachtung der ersten Demokratie auf deutschem Boden hatte. Und ich rufe ihnen zu: Verleumdet nicht die Demokratie als „System“! […] Ein Land mit unserer Geschichte darf das niemals vergessen: Demokratie lebt nicht allein aus sich heraus, aus der Verfassung und aus geschriebenem Recht. Demokratie braucht Haltung und Engagement. Demokratie verlangt Respekt und die Bereitschaft zum Kompromiss.“
Viele Kommentator*innen beschwören in diesen Tagen einer offenkundigen Krise unserer parlamentarischen Demokratie die „Schatten von Weimar“. Natürlich sind die Verhältnisse vor knapp 70 Jahren nicht mit den heutigen vergleichbar, aber das gesellschaftliche Klima erscheint zunehmend polarisiert, ja vergiftet, geprägt von Hass und Verrohung in Sprache und Verhalten. Und das erleben wir ja nicht nur in Berlin und Chemnitz, sondern auch hier in unserem Bundesland z. B. in Landau und auf dem Hambacher Schloss. Wichtig ist dabei die Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik zu verstehen, die ja nicht allein an den wirtschaftlichen und sozialen Problemen, sondern vor allem auch am mangelnden Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger zugrunde gegangen ist.
„Die Demokratie ist nicht erst dann in Gefahr, wenn Autoritäre die Macht ergreifen. Ihre Erosion beginnt mit Tabubrüchen. […] Hitlergrüße, „Deutschland den Deutschen“ und „Absaufen lassen-Rufe“ gegenüber Migranten sind leicht als eine Gefahr zu erkennen, nicht aber die Sprache der Populisten, […] auch wenn sie gegen „das System“ sind und mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit Ressentiments verbreiten und den „Volkszorn“ schüren, so nach der Tötung von Daniel H. in Chemnitz. […] Wenn eine breite Masse nicht mehr vor Parolen und Auftritten, die früher als unanständig galten zurückschreckt, wenn Verfassungsschützer Rechtsextremismus verharmlosen, dann ist hinreichend Anlass für Bestürzung gegeben. [So der frühere israelische Botschafter Shimon Stein in einem Beitrag dieser Tage.]
Und – so möchte man hinzufügen – wenn dann noch die verantwortlichen Regierungsvertreter einen so offenkundig fehl geleiteten Beamten nach oben befördern, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Politikverdrossenheit auch bei Demokraten wächst. Bei alldem dürfen wir uns es nicht zu einfach machen, in unserer sicher teilweise berechtigten Kritik an „denen da oben“. Ja, es ist gefährlich sich einer pauschalen Kritik „System“ der parlamentarischen Demokratie bei all ihren Unzulänglichkeiten und Fehlern anzuschließen, weil die Alternative eben ein autoritäres System ist, dessen Entwicklung wir ja auch rund um uns herum in Europa beobachten können.
Die Grundsatzfrage, die wir uns heute stellen müssen, ist: Wie wollen wir leben? Wir und die „Anderen“? Wollen wir weiterhin zusammenleben in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft mit all ihren individuellen Freiheiten statt uns von Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und von einem kruden völkischen Nationalismus leiten zu lassen? Dann müssen wir Demokratie auch als eine Gesellschafts- und Lebensform begreifen, in der EINMISCHEN UND MITGESTALTEN aber auch MITVERANTWORTEN zu den Bürgertugenden zählen. Unsere Geschichte verpflichtet uns in besonderer Weise dazu, die Menschenrechte zu verteidigen.
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat kürzlich in einer Rede an uns alle appelliert: „Niemals vergessen! Nicht vergessen, was passiert ist […] heißt auch: Menschen helfen, die Hilfe brauchen, auch wenn sie eine andere Religion haben, eine andere Kultur, andere Sprache, andere Hautfarbe, und zwar im Andenken an die Vertriebenen und die Toten unseres eigenen Landes vor nicht langer Zeit.“
In dieser Situation haben wir, die Veranstalter des Demokratie-Tags entschieden, uns dieser besorgniserregenden Entwicklung unter dem Motto #Demokratie beginnt mit dir! aktiv und kreativ auf der Basis des immer breiter werdenden Netzwerkes aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen entgegen zu stellen. Ein Netzwerk, das sich seit dem letzten Demokratie-Tag in einem Bündnis „Demokratie gewinnt!“ zusammen gefunden hat, das immer größer wird und bereits beginnt in Kooperationen zwischen den Partnern neue Aktivitäten zu entfalten und neue Wege zu gehen, um Demokratie und Partizipation in vielen Projekten zu fördern.
Der 13. Demokratie-Tag bietet hier am neuen Veranstaltungsort des kING und WBZ Ingelheim bei einem sichtbar noch einmal gestiegenen Interesse der jugendlichen und erwachsenen Teilnehmer*innen ein großes und vielfältiges Angebot über diese Fragen und unsere Vorstellungen zu diskutierten und Demokratie auch spielerisch zu erfahren: in den Foren, auf den politischen Podien, im „heißen Eck“ mit Jugendlichen und Landtagsabgeordneten, in den Workshops und Foren, in den Mitmachaktionen sowie an den zahlreichen Informationsständen.
Lasst uns „Haltung zeigen, statt Zurückhaltung üben“, „Brücken bauen, statt Gräben ziehen“, so einige Slogans bei den Aktivitäten auf der Straße und im Internet unter dem berechtigten Motto „Wir sind mehr!“.
Und dass wir tatsächlich mehr sind als die, die großsprecherisch für sich in Anspruch nehmen für „das Volk“ zu sprechen, das haben nicht nur eindrucksvoll die Demonstrationen am vergangenen Wochenende in Berlin gezeigt, wo eine Viertelmillion Menschen aus den unterschiedlichsten Parteien, Verbänden, Gewerkschaften, Kirchen und Vereinen friedlich genau für diese Ziele demonstriert haben. Das zeigen auch die vielen engagierten jungen und älteren Menschen – rund 800 sind es inzwischen geworden – hier auf dem Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz
Lasst uns durch unser gemeinsames Engagement hier auf dem Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz dazu beitragen, unsere Demokratie und die offene Bürgergesellschaft zu sichern und weiter zu entwickeln und überall da, wo wir unterwegs sind, in Schule, Ausbildung, Beruf und Freizeit, dafür engagiert und mutig einzutreten: Demokratie beginnt mit dir! Demokratie braucht uns alle!
Hans Berkessel
Vorsitzender der DeGeDe-Rheinland-Pfalz für das Veranstalter-Team des Demokratie-Tags Rheinland-Pfalz